1987 |
(Biographische Angaben liegen nicht vor ) |
Der Weg und die Kraft. (Die vollständige Textversion von Die Übersetzung dieser amerikanischen Ausgabe besorgte Peter Kobbe - so dass man die vorliegende deutsche Textversion streng genommen als sein Werk ansehen müsste. |
"Meine Übersetzung folgt dem Urtext so wörtlich
wie irgend möglich, ohne das Beiwerk von Reim und poetischer Umschreibung. Neben jedem
übersetzten Kapitel ist der entsprechende Urtext mitabgedruckt, um dem an dieser
ungewohnten, aber sehr schönen Schriftsprache interessierten Leser die Möglichkeit zu
geben, in die chinesische Originalfassung einzudringen und sich in ihr, selbst ohne
vorherige Kenntnis der Schriftzeichen, zurechtzufinden. Das alte Chinesisch ist eine
dunkle, paradoxe Sprache. Es kennt kein Aktiv oder Passiv, kein Singular oder Plural.
Beinahe jedes Wort kann in der jeweiligen Aussage sämtliche grammatikalischen Funktionen
übernehmen. Es ist die Aufgabe des Übersetzers, für den Leser die diesbezüglichen
Unterscheidungen festzulegen und die bestmögliche Wahl zu treffen, die der Übertragung
des Werkgehalts am ehesten gerecht wird. Um die Sprödigkeit der Übersetzung etwas abzumildern und den Sinn der Texte deutlicher herauszustellen, wurden die Kapitel-Zeilen in einer typographischen Anordnung dargeboten, die den Eindruck und den Rhythmus des Originals wenigstens ansatzweise vermitteln soll. Altchinesische Texte haben keine Interpunktion, und wieder ist es Aufgabe des Übersetzers, die Grundgedanken so voneinander abzugrenzen, daß sie dem Leser faßlich werden ... Das Wort Tao habe ich nicht übersetzt, da es ein Begriff ist, der westlichen Lesern immer vertrauter wird. Häufig wird es mit "der Weg" übersetzt, aber dieser Ausdruck gibt nicht die eigentliche Bedeutung von Tao wieder; genaugenommen bedeutet es "die Wirkungsweise des Universums". Ohnehin ist das zentrale Anliegen des Tao Te King die nähere Bestimmung des Tao; deswegen ist eine Übersetzung des Wortes nicht wirklich erforderlich. Das Wort Te wird häufig mit "Tugend" übersetzt, eine etwas unglückliche Wortwahl für einen überaus wichtigen Begriff. In der westlichen Welt wird Tugend mit Rechtschaffenheit assoziiert, aber in Wirklichkeit bezieht sich der Ausdruck Te auf die potentielle Energie, die dann entsteht, wenn man sich am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Disposition befindet. Im frühen China wurde das Pflanzen des Saatguts als Te aufgefaßt, und davon leitete sich die Bedeutung von Te als gespeicherte Energie oder Potentialität ab, gelegentlich auch als magischer Kraft. Erst Jahrhunderte später, als die konfuzianistischen Ideale in ihrer Blüte standen, wurde Te allmählich in der Bedeutung von gesellschaftlich sanktioniertem Moralverhalten gebraucht, und in diesem Sinne wurde es schließlich mit "Tugend" übersetzt. Deshalb habe ich, in Anlehnung an andere zeitgenössische Übersetzer, die Bedeutung von Te wieder auf seinen ursprünglichen Begriff, den der "Kraft", zurückgeführt. Zum richtigen Verständnis eines Werkes wie des Tao Te King ist es wichtig, sich ständig vor Augen zu halten, daß chinesische Schriftzeichen weniger Repräsentanten von Wörtern als Symbole für Ideen sind. Nicht mit Worten teilt uns Laotse mit, was er denkt, sondern er zeigt es uns in Symbolen. Deshalb wendet sich das eigentliche Werk unmittelbar an die geistige Intuition des Lesers, während die Worte gegenüber der zentralen Idee nur eine Übermittlerrolle spielen. Wegen dieser radikalen Ausrichtung auf eine einzige Idee gilt für das Tao Te King das Sprichwort: 'Besser, du liest ein Buch hundertmal als hundert Bücher einmal'. Die Grundintention des Tao Te King besteht darin, im Bewußtsein des Lesers wie ein Katalysator zu wirken und Einsichten in das Wesen der Realität freizusetzen, was für den Leser wiederum bedeutet, daß er an der Sinnkonstituierung des Werkes produktiv teilnehmen muß. Laotse hatte nicht die Absicht, ein abgeschlossenes, endgültiges, eindeutiges Werk zu schaffen, das über den historischen Wandel erhaben wäre; es hätte sich dann nicht wie das Tao selbst verhalten. Genau dies hat Laotse aber gewollt und erreicht." (Aus den Anmerkungen zur Übersetzung von R. L. Wing)
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