1948
Josef Tiefenbacher


(*1892, U1948)

Das verborgene Juwel.
Laotses Verkündigung.
Ausdeutung und Nachdichtung von
Sprüchen aus dem Tao Te King des
chinesischen Weisen und Mystikers Laotse.
Schuler-Verlag, Stuttgart. 108 Seiten.

"Ich hatte das Glück, das Buch des Alten vom Sinn und Leben in der Übersetzung von Richard Wilhelm vorzufinden... Sein Werk darf wohl den Anspruch einer vollkommenen Treue gegenüber dem Urtext erheben. Deshalb bin ich bei meinen Übertragungen im wesentlichen von der Wiedergabe Richard Wilhelms ausgegangen.
Bei den Sprüchen des Laotse handelt es sich offenbar um eine Kunstform, die wir in unserer Literatur nur wenig ausgebildet haben, und die man vielleicht als Prosagedicht bezeichnen könnte. In der Tat enthalten sie in der Tiefe der Gedanken und in der Anschaulichkeit der Bilder sowohl ein philosophisches als auch ein künstlerisches Element, die in der Form des Spruches eine äußerste Verdichtung finden. - Sie pressen gewissermaßen die volle Erkenntnis in die einprägsame Form der Nußschale - ohne daß eine Verschmelzung des philosophischen und künstlerischen Elementes zu reiner Dichtung einträte oder beabsichtigt wäre.
Es gibt aber auch Sprüche, in denen die künstlerische Schau und Bildkraft überwältigend durchbricht oder unter dem Mantel einer sachlich-nüchternen Sprache die Gewalt der Empfindungen und der Schauer tiefinnerlicher Erfahrung so lebendig spürbar sind, daß man zwingend fühlt: Hier müßte der letzte Schritt zu einer reinen Kunstform, zum lyrischen Gedicht gewagt werden, wenn wirklich der volle Gehalt dessen, was Laotse nach nunmehr 2500 Jahren den deutschen Menschen zu sagen und zu geben hat, ausgeschöpft und zur Wirkung gebracht werden soll.
So hat sich mir der Versuch, einzelne Sprüche des Laotse umzugießen in die Form eines Gedichtes, in der ja allein die Sprache im Leben des Rhythmus und im Glanz der Reime ihren vollen Zauber zu entfalten vermag, als eine unabweisbare Notwendigkeit erwiesen .... Die Bilder, die Laotse gefunden, mußten in ihrer Tiefe erfaßt und weiter durchgeführt werden, manchmal mußte ein Gedanke, der wie ein gehärteter Kern dem metallischen Fluß widerstand, eingeschmolzen und umgegossen werden in ein überhaupt neues Bild. - Und wiederum mußte oftmals das Nebeneinander von Einsichten, Erkenntnissen und Folgerungen, die gewissermaßen unorganisch und statisch aneinander gereiht sind, umgewandelt werden in ein Ineinanderwachsen und Auseinanderemporblühen, in eine dynamisch lebendige Entwicklung.
Aber es ergaben sich noch weitere Schwierigkeiten. Der alte Laotse stellt sehr hohe Ansprüche an seine Leser und Hörer. Er will jeden einzelnen zu eigenem Nachdenken, zu angespannter Mitarbeit zwingen. Seine Weisheit will in stiller Betrachtung, in weltferner Versunkenheit angeeignet werden. Man muß Zeit und Ruhe haben, darüber nachzusinnen .... Dem deutschen Leser in dieser ruhelosen und friedlosen Zeit kann solches nicht zugemutet werden."
(Aus dem Nachwort "Warum ich Laotse übertrug" von Joseph Tiefenbacher)

Die Übertragung bietet eine Auswahl von 39 Kapiteln der insgesamt 81 Kapitel des Tao Te King. Leider lehnt sich der Verfasser sehr stark an Richard Wilhelms Übersetzung an. Der Begriff des Tao regt gerade dann zum Nachdenken und zur verstärkten Auseinandersetzung des Lesers mit dem Geschriebenen an, wenn er nicht mit einem deutschen Wort umschrieben wird. Unglücklich und zudem inhaltlich ganz verfehlt ist deshalb die Wilhelmsche Interpretation des Tao als "Sinn" (ebenso wie "Leben" für Te). Und da Laotse das Höchste auch nicht personifiziert, werden dem Leser falsche Bilder vorgegeben, indem man Worte wie "Gottheit", "Sohn" und "Herrgott" verwendet. Sehr eigen wird es dann, wenn der Bearbeiter Laotses Texte in Lyrik umgießt, hier sträuben sich dem inhaltlich Interessierten doch die Nackenhaare. Der Gerechtigkeit halber muss aber auch erwähnt werden, dass einige der in Spruchform übertragenen Kapitel in ihrer freien Art sehr eigenständig und außerordentlich gelungen übertragen wurden.
 

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