1995 |
(*1964) studierte in Bonn neben Sinologie noch Philosophie und Volkskunde und promovierte über die "Bedeutung der Sprache in der frühen chinesischen Philosophie". In den Jahren 1987 bis 1989 Studienaufenthalt an der Fudan-Universität in Shanghai zur chinesischen Sprache, Philosophie und Literatur. Nach der Habilitation lehrt er nun an der Brock University in Ontario, Kanada. |
Laotse , Tao Te King. |
"Das Daodejing ist
ein altes chinesisches Buch, von dem man hierzulande nicht allzuviel versteht, in wie
vielen Übersetzungen es auch vorliegen mag. Es ist so alt, daß man nicht einmal weiß,
wie alt es ist. Man weiß auch nicht, wer es geschrieben hat oder unter welchen Umständen
es zustande kam. Bis zum Jahre 1973 war das Daodejing, der Klassiker von Dao und De,
allgemein in der Überlieferung des Philosophen Wang Bi bekannt. Wang Bi hatte im 3.
Jahrhundert n. Chr. das Buch mit einem eigenen Kommentar versehen. Auch wenn zu seiner
Zeit die Schriftkultur in China schon dominant war, war das Buchwesen doch verschieden von
dem unserer Tage. Ein Buch, ein "Klassiker" zumal, existierte nicht in Gestalt
eines einmal von einer bestimmten Person zu einer bestimmten Zeit verfassten authentischen
Textes, sondern in seiner "Überlieferung". Der Text eines
"Klassikers" wurde also nicht als das Produkt der Schriftstellerei eines
gewöhnlichen Menschen angesehen, sondern er war ein "heiliger Text", irgendwann
erschienen, vielleicht durch einen Heiligen verkündet, und dann von den Bewahrern einer
Tradition, oft mündlich, in den verschiedenen Ausformungen weitergegeben. Das Buch von
"Dao und De" wurde der legendären Figur des Laotse zugeschrieben - die dann zu
Zeiten des Wang Bi schon den Rang einer Gottheit innehatte - und zum "Klassiker"
erhoben. Wang Bi also schrieb den Text des Daodejing, so wie er ihm vielleicht durch
Bücherstudium, vielleicht durch Auswendiglernen bekannt war, noch einmal nieder und
setzte zu vielen Sentenzen des Textes eigene Erläuterungen hinzu. Das war eine für einen
Gelehrten seiner Tage nicht ungewöhnliche Beschäftigung und sicherlich nicht der erste
"Kommentar" zum Daodejing. Aber durch den Lauf der Zeit, durch die Berühmtheit
der Person des Wang Bi und vielleicht durch die außergewöhnliche Qualität seines
Kommentars, wurde diese Niederschrift späterhin zur Standardversion des Daodejing. Es
existieren zwar auch heute noch zum Teil wesentlich ältere Kommentare, aber keiner dieser
Texte ist sowohl vollständig erhalten als auch recht zweifelsfrei zu datieren. Aber auch
für den Kommentar des Wang Bi gilt wiederum, daß er innerhalb einer vielfältigen
Überlieferungslinie weitergegeben wurde. Deshalb kann heute davon ausgegangen werden,
daß selbst dieser aktuell in verschiedenen Ausgaben vorliegende Text nicht mit dem
wirklich von Wang Bi kommentierten Text identisch ist.
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