1921
Alfred Henschke
(Künstlername : Klabund)



(*1890,1928). Mitglieder der (1901 von Karl Fischer gegründeten) "Wandervogel- Bewegung", die sich in der Zeit der Lebensreform und des deutschen Jugendstil einer naturnahen und naturgemäßen Lebensweise zuwandte. Sein Pseudonym Klabund wurde von ihm selbst mit "Wandlung" übersetzt, aber auch als Kürzel aus "Klabautermann" und "Vagabund" erklärt. Er debütiert 1913 mit provokanten Gedichten, die von der Justiz als "unzüchtig" verurteilt werden ("Es hat ein Gott mich ausgekotzt, / Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck."). Sein Werk trägt antibürgerliche und bohemehafte Züge, reicht von expressionistisch inspirierter Prosa und Lyrik bis zu Übersetzungen fernöstlicher Literatur. Seine Vorbilder sind Frank Wedekind und François Villon. Aufsehen erregt 1917 sein Offener Brief an Kaiser Wilhelm II., in dem der einst kriegsbegeisterte Schriftsteller zum Friedensschluss und zur Abdankung aufruft. Wegen angeblicher Spartakus-Kontakte wird er 1919 in München kurzfristig inhaftiert. Henschke lebt und arbeitet überwiegend in Berlin, wo er auch im Kabarett auftritt. Er stirbt mit 38 Jahren an Tuberkulose.

  Mensch, werde wesentlich! LAOTSE.
  Sprüche, deutsch von Klabund.
  Verlag Fritz Heyder, Berlin-Zehlendorf 1921

 

"Laotse stand auf der Grenzscheide, sah nach vorn, sah zurück, und schrieb das Buch vom Sinn und Sein, von Welt und Wesen in zwei Teilen, genannt das Taoteking, daraus hier einige Sprüche genannt wurden: zum Nachdenken und Nach-leben. Der Mensch soll nicht nach außen, sondern von innen leben. Wenngleich das Klimatische bei der Entstehung des taoistischen Menschen eine Rolle gespielt haben mag, so scheint mir der Trennungsstrich zwischen östlichem und westlichem Menschen quer durch die Seele der Menschheit zu gehn, die nur durch das himmlische Gesetz der Wage, der Polaritäten, des Gegensatzes zwischen Tag und Nacht, Mann und Weib, Gut und Böse sich in der Schwebe hält. Der Typ des östlichen und des westlichen Menschen: man kann ihn auch den Menschen des (Sonnen-)Aufgangs und den Menschen des (Sonnen-)Untergangs bezeichnen, ereignet sich überall: in allen Zeiten und Völkern und Klimaten. Der faustische und der apollinische, der sentimentalische und der naive Mensch sind parallele Polaritäten. Das östliche Denken, wie Laotse es denkt, ist ein mythisches, ein magisches Denken, ein Denken an sich: das westliche Denken ist ein rationalistisches, empiristisches Denken, ein Denken um sich, ein Denken zum Zweck. Der östliche Mensch beruht in sich und hat seinen Sinn nur in sich. Seine Welt ist eine Innenwelt. Der westliche Mensch ist »außer sich«. Seine Welt ist die Außenwelt. Der östliche Mensch schafft die Welt, der westliche definiert sie. Der westliche ist der Wissenschaftler. Der östliche Mensch ist der Weise, der Helle, der Heilige, der Wesentliche. Zu werden wie er, zu sein wie er: ruft er uns zu; denn wir sind müde des funktionellen, des mechanischen, des rationellen Da-seins und Dort-denkens. Der Relativismen des Wissens und der Wissenschaft. Der unfruchtbaren Dialektik. Des geistigen Krieges aller gegen alle. Die Sehnsucht nach einem wahren Frieden der Seele, dem absoluten Sinn in sich und an sich ist deine tiefste Sehnsucht, Mensch! Drum: werde wesentlich!"                                           (Aus dem Nachwort)

Angaben zur eigenen Übersetzungsarbeit werden nicht gemacht. Wahrscheinlich haben die damals vorliegenden Ausgaben von Strauss, Ular, Grill und Wilhelm als Vorlage gedient. Der Begriff "Sinn" für TAO wurde dabei sicherlich von Richard Wilhelm übernommen. Auch wenn manch schönes Wortspiel beinhaltet ist ("Der Lehrer ist nicht gelehrt, der Gelehrte ist leer"), so wirken die 28 wiedergegebenen Sprüche des TaoTeKing vor dem Hintergrund der heute vorliegenden Übertragungen eher sperrig und lassen die Frage offen, warum nicht alle Sprüche bearbeitet wurden.
  

Zurück zur Auswahlseite