1950
Dr. Andre(as) Eckardt

(*21.9.1884, U1974) Geboren in München. Benediktiner. 1909 nach Korea entsandt, später auch als Leiter einer Missionsstation in der Mandschurei. Ab 1926 Honorarprofessor an der kaiserlich-japanischen Universität in Seoul. Begründet 1950 als Professor am Ostasiatischen Seminar in München die deutsche Koreanistik.

Das Buch von der grossen Weisheit. Laotse. 
Verlag August Lutzeyer GmbH,
Frankfurt am Main 1950
(Veränderte 2. Auflage: 1956)
Laotses Gedankenwelt. 
Nach dem Tao-Te-King
[Kommentar]
Verlag August Lutzeyer GmbH,
Baden-Baden - Frankfurt am Main 1957

          "Die europäischen Übersetzer haben den Begriff des Tao in sehr verschiedener Weise wiedergegeben, als Weg, Geist, Raison, Sinn, Vernunft u.a.m. Manche Erklärer sehen in Tao den "Geist, der über dem Wasser schwebt, Gott, Vater und Mutter aller Dinge", andere glauben in Tao mit Rücksicht auf Kap.6 des Tao Te King mißverständlich das Urchaos oder ein Urwesen, eine Wassergöttin, eine weibliche Gottheit, eine Göttinmutter, eine heilige Kuh und ähnliches erkennen zu können. Wieder andere erblicken in Laotses Nichtseinsbegriff indischen Einfluß und wollen Tao auf eine Sanskritform, das unpersönliche tat "es" der Upanischaden zurückführen.
          Demgegenüber glaube ich betonen zu dürfen, daß Laotse in Tao wohl das vollkommenste, mit Vernunft und Freiheit des Willens ausgestattete Wesen, den Schöpfer und Erhalter des Weltalls zu zeichnen gesucht hat. Wenn wir uns über die Bedeutung des Wortes in seinen mannigfachen Möglichkeiten klar geworden sind, werden wir das chinesische Zeichen am besten unübersetzt lassen und das Wort "Tao" beibehalten, zumal es im Worte Taoismus bereits bei uns eingebürgert ist.
          Es gibt kein Mittel, das Wesen Taos, das alle Eigenschaften der Vollkommenheit, aber auch alle Gegensätze in sich vereinigt, zu bestimmen und zu definieren. Das ganze Tao Te King ist ja eigentlich nur der Versuch, Tao Laotses Jüngern nahe zu bringen. Alles, was wir von ihm aussagen können, ist, daß es unfaßbar, unbegreifbar ist, alles übrige betrifft nur sein Wirken, seine Segnung sein "Te", das oft mit dem Worte Tugend wiedergegeben wird, aber eine viel weitere und tiefere Bedeutung hat. Auf keinen Fall darf Te mit dem konfuzianischen "Tugend-Begriff" gleichgesetzt werden. "Te" bedeutet nach W. Rüdenberg (Chinesisch-deutsches Wörterbuch): rechter Weg, Güte, Tugend, Eigenschaft, Wohltat, Segnung, Betragen, Wirken usw. Die Tugend besteht nach Laotse in der Anpassung an Tao, der Teilnahme an seinem Wesen und Wirken. "Te" hat also den doppelten Sinn von Wirken und Eigenschaft des Tao und Tugendhandlung, Anpassung des Menschen an das göttliche Tao. "Tao" und "Te" sind demnach nicht entgegengesetzt als in zwei verschiedenen Sphären liegend, sie schließen einander nicht aus, sondern bilden zusammengehörige Begriffe.
          Abkehr von der Welt der realen Dinge, die widersprechende Eigenschaften zeigen, und Versenkung in das Geheimnis des wahren und ewigen Tao, das ist nach Laotse Zweck und Ziel des "Berufenen", des "Weisen", des "Heiligen". Der Weise zieht sich zurück von der Welt der Gegensätze in ein Gebiet, wo es keine Gegensätzlichkeit mehr gibt. Im mystischen Bewußtsein des "Einsseins mit der transzendenten Urkraft" wird für ihn die Realität des Daseins gleichgültig.
          Manche Stellen des Tao Te King erinnern an die Mystiker des Mittelalters, aber Laotse ist nicht nur Mystiker, er ist auch Philosoph, und vielleicht einer der größten Philosophen des Fernen Ostens (....)
          Wie Tao und Te verschiedene Bedeutungen zulassen, so auch viele andere Wörter, besonders jene mit abstrakter Bedeutung. Nicht nur das, auch ein und dasselbe Schriftzeichen kann oft zugleich Substantiv, Adjektiv und Verbum, aktiv und passiv in irgendeiner Zeitform oder einem Modus bedeuten. Selbst der Sinologe braucht sich nicht zu schämen, wenn er offen gestehen muß, daß für ihn manche Kapitel des Tao Te King nach Inhalt und Form schwer verständlich und daher fast unübersetzbar sind und in verschiedenem Sinne, der sprachlich durchaus möglich ist, ausgelegt werden können, wie z.B. die ersten Verse des ersten Kapitels des Tao Te King.
          Aus diesen kurzen Darlegungen wird hervorgehen, welchen Wert jene Übersetzungen haben, die ohne Kenntnis des chinesischen Textes aus anderen Übersetzungen geformt wurden. ... R. Dvorak meint, das Buch des Laotse sei ein Text, von dem "Vielleicht kein einziger Satz von allen Übersetzern gleich verstanden, geschweige denn richtig übersetzt wird." ... F.E.A.Krause bemerkt: "Alle unklaren, verschwommenen Gedanken finden ja heute den meisten Anklang und wo von Mystik die Losung ist, muß man auch für Laotse und das Tao Te King schwärmen, wenn man auch kein Wort davon versteht."
          Möge vorliegende Übertragung, die unter Vorlage mehrerer Texte und Ausgaben, u.a. der Commercial Press (Shanghai 1894 und später), ferner des japanischen Kommentars von K. Uruyama (Tokio 1917) und des koreanischen Kommentars von Pak Tschusus, sowie unter Vergleichung der besten, oben genannten Übersetzungen entstanden ist, zur Besinnung und inneren Einkehr ermutigen! Hauptwert wurde hierbei auf Verständlichkeit und klare Ausdrucksweise, sowie auf den Umstand gelegt, daß das Tao Te King auch ein wertvolles poetisches Werk in metrischer, aphoristischer Form ist.     
                                                    (Aus dem Nachwort von Dr. Andre Eckardt)

Als Theologe unterlegt Eckardt den Text mit christlicher Terminologie und bringt den Gottesbegriff ein. Im Jahr 1956 gab der Verfasser eine überarbeitete 2. Auflage heraus. Interessant ist auch der 1957 separat herausgegebene Kommentarband.
 

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